Ein ganzes halbes Jahr

"Ein ganzes halbes Jahr" von Jojo Moyes - ein Buch, das mich schwer beeindruckt hat.

Aufgrund des hübschen Covers bin ich schon länger um dieses Buch herum geschlichen, aber ich habe es nie in die Hand genommen und weil ich mir auch gerade ein Buchkaufverbot auferlegt habe, kam es sowieso nicht in Frage. Nachdem Alizeti auf ihrem Blog so davon geschwärmt hat, konnte ich nicht länger widerstehen und mich total gefreut, dass es in der Bücherei um die Ecke verfügbar war (zwar als Bestseller, für den man 2 Euro zahlen muss...). An meinem Faulenz-Montag habe ich angefangen und bin gestern Nacht in einem nassen Bett fertig geworden. Nass, weil der Froind mich angeschwitzt hat und noch nasser, weil ich nicht mehr aufhören konnte zu weinen. Es ist so toll, dass ich es auch nur empfehlen kann und daher eine kleine Rezension schreiben möchte.

Louisa, Lou genannt, führt ein ruhiges, entspanntes Leben in einer kleinen englischen Kleinstadt. Ihr Leben plätschert vor sich hin, doch dann wird sie auf einmal Arbeitslos. Über das Jobcenter wird ihr eine Stelle als Pflegerin bei Will vermittelt. Will sitzt seit knapp zwei Jahren im Rollstuhl, hat all seinen Lebenswillen verloren und möchte in der Schweiz geplanten Selbstmord begehen - nachdem er schon einen gescheiterten hinter sich hat. Seinen Eltern hat er ein ganzes halbes Jahr versprochen. Ein ganzes halbes Jahr, in dem die Eltern und seine Schwester die Hoffnung nicht aufgeben ihn doch noch umzustimmen. Und diese Aufgabe bekommt Lou. Eine schwere Aufgabe, die nicht nur ihr Leben grundlegend verändert, sondern auch das von Will.

Das Buch fängt wie viele Liebesromane an und zunächst hatte ich das Gefühl, alles vorauszuahnen. Außerdem zieht man selbstverständlich Vergleiche zu "Ziemlich Beste Freunde" von. Doch ganz so einfach ist es nicht. Jojo Moyes hat es nach nur wenigen Seiten geschafft (anbei auch ein großes Kompliment an die Übersetzerin Karolina Fell), mich völlig in den Bann des Buches, der zarten Liebesgeschichte, die eigentlich keine ist, und dem sensiblen Thema des freien und bestimmten Endes durch Selbstmord zu ziehen. Man fühlt, liebt und leidet mit Lou und Will von der mit. Man fühlt sich ertappt, wenn beschrieben wird, wie Will als Behinderter wahrgenommen wird. Auch ich habe mich schon oft in diesen Momenten erwischt, in denen man total Tolerant und aufgeschlossen sein möchte und dann doch einfach nur peinlich wegsieht. Wie man sich vorschnell ein Urteil über Rollstuhlfahrer bildet. Wie man urteilt, weil sie Selbstmord begehen möchten oder auch nicht. Es ist eben nicht so einfach. Und wer bin ich, zu urteilen ob und wann und wie eine Leben lebenswert ist? Während ich diese Zeilen schreibe, habe ich schon wieder Tränen in den Augen.

Wie schnell kann es gehen, dass man selbst, oder eine nahe stehende Person einen schrecklichen Unfall hat? Wie oft hatte ich selbst Glück? Wie oft merkt man gar nicht, dass man einfach nur Glück hatte? Wie oft vergisst man, wie lebenswert sein eigens Leben gerade ist? Mir ist klar, dass ich jedes Mal, wenn ich aus dem Haus gehe, nicht mehr lebend oder an den Rollstuhl gefesselt, zurück kehren könnte.   Aber ist einem das wirklich immer so klar? Versteht mich nicht falsch - es wäre falsch jede Minute über so etwas schreckliches nachzudenken, dennoch hat mir dieses Buch wieder einmal klar gemacht, dass man/ich/jeder darüber nachdenken muss. Und sei es einmal im ganzen halben Jahr. Vielleicht sieht man dann sein eigenes Leben für einen kurzen Augenblick unter einem anderen Blickwinkel. Unter einem glücklicheren Blickwinkel. Und vielleicht sieht man den nächsten Rollstuhlfahrer oder andere Menschen mit einer Behinderung, egal welchen Grades, mit anderen Augen.

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